Legal, illegal, sch...egal? - Podiumsdiskussion der SPD Puchheim zu Pro & Contra Cannabis-Legalisierung

Rund 70 Bürgerinnen und Bürger kamen zu der Podiumsdiskussion der Puchheimer SPD zur Frage, ob Cannabis legalisiert werden sollte oder nicht. "Legal, illegal, sch...egal? - Pro & Contra Cannabis-Freigabe" hieß der Titel der Veranstaltung.

Als Podiumsgäste waren eingeladen Dr. Günther Rödig, Psychiater, Roland Autenrieth, Rechtsanwalt und Strafverteidiger, Maximilian Plenert, u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Hanf Verbands und Mitglied im Bundesvorstand akzept e.V. Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik und Otto Stecher, Bewährungshelfer in Rente und Mitglied des Puchheimer SPD-Ortsvereins, der auch als Moderator der Veranstaltung fungierte.

Vor der Veranstaltung hatten die Gäste die Möglichkeit, ihre Meinung zur Frage der Legalisierung von Cannabis in Form eines Balls in eine von drei Kisten (Ja, Nein und Weiß nicht) zu werfen. Bei dieser ersten Abstimmung zeichnete sich ab, dass die meisten Gäste einer Freigabe von Cannabis positiv gegenüber stehen. Am Ende dieses Artikels verraten wir Ihnen, wie das Meinungsbild nach der Diskussion aussah.

Die wichtigsten Aussagen der vier Podiumsteilnehmer haben wir der Übersichtlichkeit halber in Stichpunkten zusammengefasst:

Otto Stecher

"Die beste Prävention ist, jemanden in sich zu stärken, damit er mit sich selbst gut zurecht kommt"

  • Er wurde vor der Veranstaltung gefragt: "Warum befasst sich gerade die SPD mit dem Thema? Haben die nix anderes zu tun?"
  • Thema nimmt in der Presse in letzter Zeit breiten Raum ein; warum sollte sich die SPD nicht mit einem solchen Thema beschäftigen?
  • Das Puchheimer JUZ leistet Präventionsarbeit unanhängig davon, ob das Suchtmittel nun legal oder illegal ist (daher kommt auch der mit dem Veranstaltungsmotto identische JUZ-Slogan „Legal, illegal, scheißegal“) -> unter Prävention versteht man dort, jemanden in sich zu stärken, damit er mit sich selbst gut zurecht kommt (und somit keine Drogen als „Helfer für den Alltag“ benötigt)
  • 7-zu-1-Regel: Für die Durchsetzung des Drogenverbots (BTMG) wird sieben Mal so viel Geld ausgegeben wir für die Prävention
  • Cannabis kann man nicht mit „den Drogen“ im Allgemeinen gleichsetzen
  • Polizei handhabt Thematik teilweise auch sehr unterschiedlich
  • „Hasch macht lasch“ (in Bezug auf die Frage nach der Cannabis-Wirkung)
  • Das „Recht auf Rausch“ ist menschlich und schon viele tausend Jahre alt
  • Die Zahlen bei jungen Einstiegskonsumenten sind rückläufig
  • Die Revolution muss bei diesem Thema von unten kommen
  • Problem ist, dass das Thema in der Gesellschaft immer noch tabuisiert wird (wohl v.a. aus Sorge über den eigenen Ruf z.B. als Eltern/Lehrer etc.)

Dr. Günther Rödig

"Mit dem illegalen Cannabis-Geschäft werden Kriege finanziert"

  • Cannabis lässt sich relativ leicht kontrollieren
  • Chemische Drogen (Crystal Meth etc.) sind viel schlimmer („jugendliche Laborratten“ testen im Feldversuch regelmäßig die neuesten "Kreationen" der Drogenmafia)
  • Cannabis kann zu paranoiden Phasen und Psychosen führen
  • Eher psychische und weniger körperliche Abhängigkeit (Letzteres hauptsächlich beim Rauchen wegen Nikotin!)
  • Je früher Cannabis konsumiert wird, desto bedenklicher ist es (Entwicklung des Gehirns bis ca. zum 25. Lebensjahr), gesundheitliche Folgen des Kiffens können schizophrene Psychosen sein, die dann zum „Absturz“ führen können
  • Kiffer bekommen keine Chance, beispielsweise in therapeutischen Wohngemeinschaften zu leben; dies führt nicht selten zu Wohnungslosigkeit oder zur Einweisung in geschlossene Heime
  • Zu früher Konsum von Cannabis muss verhindert werden => hier sind auch das Schulsystem und die Schulen in der Pflicht (Stichwort: Hoher Druck auf die Schüler wegen früher Selektion)
  • Cannabis ist einer der interessantesten medizinischen Substanzen; der Körper hat in den verschiedensten Bereichen (nicht nur im Gehirn) eigene Rezeptoren für Cannabis; es hat sehr viel Potenzial, das aber durch die starken Restriktionen im Bereich der Forschung nicht annähernd ausgeschöpft werden kann
  • Cannabis bietet Hilfe bei unheilbaren Krankheiten wie MS und womöglich auch bei Krebs; auch bei ADHS könnte Cannabis positive Wirkung haben; Kassen bezahlen dies aber in den allerseltensten Fällen, zudem Konsum auch zu medizinischen Zwecken nach wie vor nicht legal (mit ganz wenigen Ausnahmen bei MS z.B.)
  • Bei kontrollierter, legaler Abgabe von Cannabis hätte man Gewissheit, was „drin“ ist (THC- und CBD-Gehalt, Fremdstoffe etc.)
  • Mit der illegalen Produktion von und dem Handel mit Cannabis wird u.a. auch der Krieg (z.B. in Syrien) finanziert
  • Die Gefängnisse sind leider wichtige und große Drogenumschlagplätze
  • Es gibt keinen Grund, Cannabis nicht als Medizin zu verwenden; der menschliche Körper hat an vielen verschiedenen Stellen sogar eigene Rezeptoren für Cannabis-Wirkstoffe; die gängigen Medikamente sind teilweise extrem teuer und haben schlimme Nebenwirkungen; das Problem ist, dass die Pharmaindustrie selbst bestimmt, was eine Krankheit ist, um dann ihre Medikamente möglichst gewinnbringend verkaufen zu können

Roland Autenrieth

"Eine Legalisierung von Cannabis würde den Zulauf zu synthetischen Drogen deutlich reduzieren"

  • Ein beachtlicher Teil der Jugendlichen kommt irgendwann in Kontakt mit Drogen
  • In Deutschland ist nach wie vor alles strafbar: Besitz, Erwerb, Verkauf etc.
  • Die Bundesländer handhaben geringe Mengen bislang sehr unterschiedlich
  • Gewaltstraftaten hängen so gut wie nie mit Cannabis, dafür aber sehr oft (ca. 40 – 50 Prozent aller Fälle) mit Alkohol zusammen
  • Kriminalisierung von Cannabis-Konsum ist der falsche Weg
  • Es wäre mehr Prävention erforderlich, was in der Praxis aber oft nicht funktioniert, weil es eben illegal ist (wenn die Polizei Drogenberatung durchführt, würde jeder, der zugibt zu konsumieren, ein Strafverfahren riskieren, denn es gilt das Legalitätsprinzip: Polizei und Staatsanwaltschaft müssen Straftaten, von denen sie Kenntnis erlangen, zur Anzeige bringen)
  • Eine Legalisierung von Cannabis würde den Zulauf zu synthetischen Drogen deutlich reduzieren, die entsprechenden Schwarzmärkte würden ausgetrocknet werden
  • Beispielsweise in Bayern werden gegen Cannabis-Konsumenten rigorose Maßnahmen ergriffen; so ist oftmals der Führerschein in Gefahr, auch wenn der Konsument nur zu Hause gekifft hat und in bekifftem Zustand keinerlei Kraftfahrzeug bewegt hat; die Beweislast der Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs liegt beim Konsumenten und so ein Beweis ist in der Praxis nur ganz schwer zu führen; dies ist auch ein erheblicher Unterschied um Alkohol, denn dieser muss tatsächlich konsumiert worden sein, während bei Cannabis schon der bloße Besitz ausreicht
  • Bericht von einem aktuellen Fall, bei dem sein Mandant wegen mehrerer Delikte zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt wurde; in der Bewährung verstieß er ausschließlich bezüglich des Cannabis-Eigenkonsums gegen die Bewährungsauflagen; obwohl er in der Bewährungszeit einem geregelten Job als Mechatroniker nachging und niemandem etwas getan hat, wurde seine Bewährung widerrufen und er musste ins Gefängnis

Maximilian Plenert

"Der Krieg gegen die Drogen in Deutschland ist gescheitert"

  • Die überholte Drogenpolitik in Deutschland ist heute nur noch deshalb möglich, weil zu dem Thema nach wie vor eine sehr große Uninformiertheit vorherrscht
  • Cannabis muss endlich aus der Illegalität herauskommen
  • Die Prohibition beeinflusst den Konsum ohnehin nicht, richtet aber eine ganze Menge „Kollateralschäden“ an (Analogie zur gescheiterten Alkoholprohibition); selbst geringste Mengen können für das weitere Leben der Betroffenen erhebliche Folgen haben (z.B. erhebliche Nachteile im Berufsleben durch Straffälligkeit in Verbindung mit Cannabis-Konsum)
  • Der freie Markt, der durch das Verbot verhindert werden soll, ist faktisch gegeben => eigentlich gibt es die Freigabe von Cannabis in der Realität schon; warum soll der Konsum dann weiterhin unter Strafe stehen?
  • Wichtig wäre eine Legalisierung in Verbindung mit einer strengen Kontrolle durch den Staat
  • Vorbild Colorado (USA): Hier funktioniert auch und insbesondere der Jugendschutz in den Fachgeschäften, in denen Cannabis offiziell abgegeben wird; hier ist auch klar, welche Wirkstoffe in welchen Konzentrationen enthalten sind, es wird über mögliche Nebenwirkungen und Folgen aufgeklärt (wieder Analogie zur Alkoholprohibition, dort wurden z.B. viele Menschen blind, weil sie illegalen, gepanschten Alkohol tranken)
  • In den USA und in Uruguay gibt es empirische Erkenntnisse, auf die man auch hierzulande zurückgreifen könnte
  • Niederlande sind kein ideales Vorbild in Sachen Legalisierung, denn auch dort sind beispielsweise der Anbau bzw. die Produktion nach wie vor illegal
  • Staat gibt Unmengen von Geld für Cannabis-Repressionen aus; würde man die Cannabis-Abgabe legalisieren und unter staatliche Kontrolle stellen, könnten u.a. durch Einsparungen bei Polizei und Justiz sowie durch Steuern auf Cannabis Einnahmen von ein bis zwei Milliarden Euro erzielt werden; mit diesem Geld könnte man an jeder deutschen Schule etwa ½ Sozialarbeiter finanzieren
  • In Deutschland werden die Cannabis-Plantagen von kriminellen Gruppierungen wie den Hells Angels kontrolliert; zwar ist die Rendite nicht so hoch wie bei anderen Drogen, aber die Masse macht‘s
  • Es braucht für Deutschland landesweit klare Regeln für den Jugend- und Verbraucherschutz
  • Mehr als die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren fordert, die negativen Seiten der Cannabis-Prohibition zu beleuchen
  • Auch Teile der Polizei wollen den Cannabis-Konsum entkriminalisieren, um sich wichtigeren Dingen wie z.B. dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität widmen zu können; dies würde auch eine erhebliche Entlastung für die Justiz mit sich bringen
  • Die Drogenpolitik in Deutschland ist willkürlich und wird teilweise ohne Sachkenntnisse betrieben
  • Der Krieg gegen die Drogen in der jetzigen Form ist in Deutschland gescheitert
  • Wirbt für Modellversuche in einem kontrollier- und überschaubaren Rahmen vor Ort
  • Eigentlicher körperlicher Suchttreiber bei Cannabis ist das Nikotin
  • Die Pharmaindustrie hält im eigenen Gewinninteresse die Hand auf die medizinische Nutzung von Cannabis, damit sie den Umsatz ihrer teuren Medikamente nicht gefährdet

Am Schluss übrigens lagen in der "Nein"-Kiste gar keine Bälle mehr, während die "Ja"-Kiste fast übergequollen ist. Für die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer waren die vielen vorgebrachten Argumente für eine Legalisierung von Cannabis unter staatlicher Kontrolle also stichhaltig und überzeugend.

Wir sind sehr gespannt, in welche Richtung sich die Diskussion in Deutschland in der nächsten Zeit entwickeln wird. Die Podiumsteilnehmer haben es unisono betont: Informationen über Cannabis sind als Basis für diese Debatte unerlässlich. Unser Podium war ein erster Schritt in diese Richtung.

Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den Podiumsteilnehmern, bei allen Gästen, von denen sich auch viele aktiv und sehr konstruktiv in die Diskussion eingebracht haben und natürlich bei allen Helferinnen und Helfern und insbesondere bei Otto Stecher für den sehr gelungenen und aufschlussreichen Abend im PUC.