Viele hierzulande haben ihren Augen und Ohren nicht getraut, als sie am Mittwochmorgen via Fernsehen oder Radio darüber informiert wurden, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen wird.
Ich selbst war im ersten Moment auch überrascht, aber ich hatte schon seit langem einen Sieg Trumps als durchaus realistisch, zumindest aber als möglich erachtet.
Ich möchte auch nicht leugnen, dass mein erster, fast schon reflexartiger Gedanke war „Wie bescheuert kann man eigentlich sein, diesen Typen zu wählen?“. Ich glaube aber, dass mir der gleiche Gedanke, wenn auch vielleicht nicht in dieser intensiven Form, auch in den Kopf geschossen wäre, wenn Hillary Clinton das Rennen gemacht hätte.
Für mich, einen überzeugten Sozialdemokraten, waren beide Kandidaten für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten nicht nur ungeeignet, sie wären für mich unwählbar gewesen, hätte ich in den USA wählen dürfen.
Mein Zorn und meine Enttäuschung, die ich nicht verleugnen kann, richten sich eigentlich gar nicht so sehr gegen Donald Trump. Man kann diesem Mann viel vorwerfen. Dass er fremdenfeindlich ist. Dass er Minderheiten beleidigt und geringschätzt. Dass er ein Frauenbild hat, das man mit dem Wort „Sittenstrolch“ womöglich recht prägnant und zutreffend beschreiben könnte. Aber man muss ihm zu Gute halten, dass er durch sein Auftreten auch nie wirklich einen Hehl daraus gemacht hat, dass er charakterlich kein Vorbild ist, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Beim Schreiben dieser Zeilen kommen mir da Horst Seehofers „Schmutzeleien“ in den Sinn, die er dem schon seit langem mit den Hufen scharrenden, designierten Kronprinzen Markus Söder an den Kopf geknallt hat. Aber verglichen mit Trumps Aussagen und Auftritten muten Söders Ausfälle wie das Werk eines unbedarften, blutigen Anfängers an. Da hätte sogar Söder noch viel „Luft nach oben“.
Mein Zorn und meine Enttäuschung richten sich auch nicht – obwohl das USA-Bashing ja grad in Mode ist – gegen das amerikanische Volk. Klar, rational ist es nicht erklärbar, dass einer wie Trump, der bislang eher als Karikatur denn als Politiker, geschweige denn als Präsident angesehen wurde, nunmehr Barack Obama im Oval Office nachfolgen wird. Aber es war auch keine rationale Wahl, dieser Urnengang zur Bestimmung des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Es war eine „höchst emotionale Kiste“. Es war ein Ausrufezeichen, das so dick war, dass man es vermutlich noch vom Mond aus sehen könnte (vorausgesetzt, der insbesondere auch von den Amerikanern produzierte Smog hält sich in Grenzen). Das amerikanische Volk, es hat nicht nur mit dem Zaunpfahl, sondern (frei nach Trumps Motto "Make America great again!") gleich mit dem ganzen Zaun gewunken.
Mein Zorn und meine Enttäuschung richten sich zu einem ganz überwiegenden Teil gegen die beiden alteingesessenen Parteien, die Demokraten und die Republikaner.
Die „Grand old party“, wie sich die Republikaner auch gerne nennen, hat es nicht geschafft, eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufzubieten, die bzw. der Trump wirklich hätte Paroli bieten können. Die „altbekannten Verdächtigen“ pflegten lieber ihr Ego, um sich in den Vorwahlen gegenseitig aufzureiben, während Trump als „lachender Dritter“ (aus mathematischer Sicht inkorrekt!) aus dem Rennen um das republikanische Präsidentschaftsticket hervorging. Und dann wird dieser Kandidat, den die Unterlegegen zum Schluss sogar noch öffentlich bekämpft haben, auch noch zum wichtigsten Mann im Staate, wenn nicht sogar auf der ganzen Welt, gewählt. Dumm gelaufen, meine Herren!
Wenn die Rubios, Cruz‘, Bushs und Santorums auch nur etwas Anstand im Leibe haben, treten sie von der politischen Bühne ab und biedern sich nicht dem neuen starken Mann an, dem sie zuvor noch gerne das berühmte Messer in den Rücken gerammt hätten.
Diese erbarmungswürdige „Gesamtleistung“ der Republikaner sollte meiner Meinung nach jedenfalls dazu führen, dass die Republikaner das „grand“ künftig streichen, denn „old“ reicht als Charakterisierung nunmehr völlig aus. Die Republikaner 2016 schauen nach diesem Desaster nämlich verdammt alt aus.
Verdammt alt sah und sieht auch Hillary Clinton aus. Nach der Wahl sowieso – was freilich nachvollziehbar ist. Aber auch und vor allem davor. Sie konnte nicht einmal die teilweise wirklich schlimmen Ausfälle und Aussetzer ihres Kontrahenten ausnutzen, weil sie selbst eine Weste trägt, deren Grundfarbe Weiß man nicht einmal mehr erahnen kann und die - wie kaum ein anderer Politiker in den Staaten - für das weithin verachtete, verkrustete Politik-Establishment steht, das in den Augen vieler Amerikaner von der Wirtschaft und von undurchsichtigen Kreisen gesteuert wird und das jegliche Bodenhaftung verloren hat. Clinton war als Person offensichtlich sogar noch unglaubwürdiger als der xenophobe, milliardenschwere „Pussygrabscher“. Und das muss man – oder besser gesagt frau – erstmal schaffen.
Das eigentliche Problem war aber nicht Clinton. Denn die Vorwürfe, die aus interessierten Kreisen und zu den richtigen Zeitpunkten gegen sie lanciert wurden, waren der Demokratischen Partei nicht neu. Auch nicht neu war, dass Clinton ein ganz enormes Glaubwürdigkeitsproblem vornehmlich in weiten Teilen der älteren, weißen Bevölkerung hat, die – von großen Verlustängsten geplagt - die Mittelschicht wegbrechen sehen und dafür das alte Politik(er)establishment, dem Clinton zweifellos angehört, verantwortlich machen. Trump hingegen konnte sich – obwohl als Multimilliardär, der seine Steuern nicht offenlegen wollte, eigentlich denkbar unglaubwürdig – völlig ungehindert als „Rächer der Enterbten“ gerieren und dem berüchtigten „kleinen (weißen) Mann“ offensichtlich wieder eine (gefühlt) echte Perspektive geben.
Die Demokratische Partei hat hier auf ganzer Linie versagt. Und zwar in einer Mischung aus Feigheit, Ignoranz und Arroganz (der Macht). Zu gerne würde man wissen, was Barack Obama über Clintons Nominierung und ihren Wahlkampf wirklich denkt. Denn seine ehren- und lobenswerten Versuche, der amerikanischen Gesellschaft ein wenig mehr Solidarität einzuhauchen, hätten durch eine Präsidentin Clinton gar nicht glaubwürdig vertreten und weitergeführt werden können. Zu sehr verkörpert sie die für viele Amerikaner unerreichbare und undurchschaubare Elite, die Korruptheit des Systems, die Willfährigkeit gegenüber dem freien Markt als eigentliche „Staatsform“.
Dabei wäre Clinton in keiner Weise „alternativlos“ gewesen. Mit Bernie Sanders beispielsweise stand ein in den Augen vieler wesentlich glaubwürdigerer Kandidat zur Verfügung, dessen Ruf unbefleckt ist, dessen Art unkonventionell für amerikanische Verhältnisse ist, dessen Ideen und Ansichten viel eher in der Tradition dessen liegen, was Obama angestoßen hatte. Ich hätte mir Sanders als Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gewünscht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sanders gegen Trump auch eine reelle Chance gehabt hätte, weil Sanders sehr viel authentischer und überzeugender als Clinton oder der blonde Multimilliardär Themen angesprochen hat, die der taumelnden Mittelschicht, aber auch dem amerikanischen Prekariat auf den Nägeln und auf der Seele brennen.
OK, man könnte jetzt sagen „Im Nachhinein ist man schlauer“, aber man hätte auch einfach mutig sein und Sanders ins Rennen gegen Trump schicken können anstelle einer unglaubwürdigen, abgehalfterten Vertreterin des muffigen, schmierigen und zerbröckelnden Establishments.
Das Echo auf Trumps Wahl wird in den USA noch sehr lange nachhallen und die im Wahlkampf erfolgte Polarisierung wird sich nur schwer wieder einfangen und abbauen lassen. Die erheblichen Spannungen entluden sich schon vor der Wahl immer wieder in seismischen Wellen quer durchs ganze Land, und es ist zunächst davon auszugehen, dass dies erst einmal so weitergehen wird. Trump muss sich sehr schnell seiner Verantwortung bewusst werden, dass er Präsident aller Amerikaner ist und nicht nur derer, die ihn - aus den unterschiedlichsten Gründen heraus - gewählt haben.
Im Ausland und natürlich auch hier in Deutschland fielen die Reaktionen überwiegend erwartungsgemäß aus. „Katastrophe!“, „Skandal“, „Dumme Amerikaner!“, „Das ist der Untergang der Welt, wie wir sie kennen!“, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich sehe es nicht so dramatisch. In den USA ist ganz vieles Show. Bei Trump wird sich recht schnell zeigen, ob die Show nun vorbei ist oder ob sie gerade erst (so richtig) losgeht. Ganz abgesehen davon, dass kein amerikanischer Präsident wirklich völlig alleine handelt und entscheidet, es also mitnichten eine echte „One-Man-Show“ werden wird. Die größten Bedenken habe ich ob der völligen außenpolitischen Ahnungslosigkeit Trumps und ob des Rufs, der ihm - selbst verschuldet - vorauseilt.
Eines jedenfalls hat der amerikanische Wähler an diesem 8. bzw. 9. November 2016 deutlich gemacht: Die „Bushs“ und „Clintons“ der USA gehören einer aussterbenden Dinosaurier-Gattung an, der sie nicht mehr vertrauen und um die es nun auch wirklich nicht schade ist. Ob es schlau war, stattdessen – sicherlich oftmals mehr aus Protest und Trotz denn aus tiefer innerer Überzeugung - einen unberechenbaren Rowdy zum Präsidenten zu machen, wird sich weisen. Ich persönlich bin sehr gespannt, wie Donald Trump dieses Amt, das sicherlich auch eine der größten Lasten, die man einem Menschen aufbürden kann, mit sich bringt, ausfüllen wird.
Zum Schluss möchte ich noch eine Parallele zur deutschen Politik ziehen. Ich denke, dass einige Herrschaften in Berlin von Union, SPD, Grünen und FDP auch in ein oder zwei Wochen noch mit heruntergefallener Kinnlade panisch durch die Gegend rennen werden. Und womit? Mit Recht! Denn wer glaubt, dass ein solches Szenario in Deutschland undenkbar ist, der steht möglicherweise bald wieder vor einem bösen Erwachen.
Ich will es aber auch nicht dramatisieren. Es gibt (noch) keinen Grund, den (braunen) Teufel an die Wand zu malen. Aber es gibt allen Grund, die richtigen Schlüsse aus dieser denkwürdigen US-Wahl für die deutsche Politik zu ziehen und die Augen vor unbequemen Wahrheiten nicht mehr zu verschließen.
Ein wichtiger Schluss aus der US-Wahl wäre, endlich anzuerkennen, dass es auch hierzulande viele Menschen gibt, die sich von der Politik nicht mehr verstanden, nicht mehr ernstgenommen, nicht mehr mitgenommen und nicht mehr respektiert fühlen. Und die ihre Wut darüber dann – altbekanntes Schema – gegen andere, ebenfalls benachteiligte Gruppen wie z.B. Andersdenkende, Flüchtlinge oder Obdachlose richten.
Ich meine übrigens gerade nicht die unsäglichen, unverbesserlichen braunen Krakeeler, die sich im Schatten der immer stärker werdenden Politikverdrossenheit und Politikuninteressiertheit immer dreister aus ihren Löchern heraustrauen und unsere Demokratie zerstören wollen. Die gab es schon immer, die wird es auch immer geben. Aber sie waren in Deutschland in den letzten 70 Jahren niemals auch nur annähernd salonfähig oder gar tonangebend. Und wir alle sind dafür verantwortlich, dass das auch so bleibt.
Ich meine die Menschen, die mit weiten Teilen der Politik in Deutschland abgeschlossen haben, weil sie ihr nicht mehr vertrauen und die aus Protest z.B. AfD wählen. Hauptgründe sind, wie in den USA, auch bei uns Verlust- und Abstiegsängste breiter Bevölkerungsschichten und das Gefühl, am Wohlstand und Wachstum nicht annähernd adäquat teilzuhaben.
Gerade „meine“ SPD wäre dazu aufgerufen, alles daran zu setzen, dieses verlorengegangene Vertrauen und die Glaubwürdigkeit Stück für Stück zurückzuerobern bzw. neu aufzubauen, anstatt immer wieder mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel zu spielen. Davon sind wir im Moment aber leider noch sehr weit entfernt. Dazu braucht man sich nicht einmal die stabil verheerenden Umfragedaten anzusehen, sondern man muss „nur“ mit den Menschen auf der Straße – oftmals ehemalige SPD-Wähler – sprechen. Da bekommt man Dinge vor den Kopf gehauen, bei denen man – obwohl als langjähriger Stadtrat durchaus auch „kampferprobt“ – erstmal schlucken muss. Und nicht alles, was einem da um die Ohren fliegt, ist falsch oder übertrieben.
Im kommenden Jahr steht eine für die deutsche Politik richtungsweisende Wahl an. Wer für die SPD ins Rennen geht, steht noch nicht fest. Sigmar Gabriel hätte meines Erachtens keine reelle Siegchance. Das Vertrauen der Menschen in ihn erreicht – sicherlich zum Teil auch ungerecht seiner Person und Persönlichkeit gegenüber – Clinton’sche Dimensionen, was nun leider wahrlich kein Kompliment und noch viel weniger ein Hoffnungsschimmer für die deutsche Sozialdemokratie ist. Was würde ich als überzeugter Sozialdemokrat für einen „deutschen Bernie Sanders“ geben…aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Noch ist ja etwas Zeit.
Jean-Marie Leone SPD-Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Puchheim