Wolowicz und Kränzlein diskutieren über die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft

Für beide ist die Soziale Marktwirtschaft für Deutschland, aber auch für Europa unabdingbar

Zur Einstimmung auf das Thema des Abends warfen die beiden Moderatoren, Puchheims Erster Bürgermeister Norbert Seidl und der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Jean-Marie Leone, zwei Zitate in den Raum. Winston Churchill sagte einst über die Demokratie, sie sei "die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen". Dieser Satz ließe sich, so Leone, auch auf die Soziale Marktwirtschaft übertragen. Das zweite Zitat, Deutschland benötige eine "marktkonforme Demokratie", hat zweifellos das Zeug zum Unwort des Jahres. Geprägt wurde es von der amtierenden Bundeskanzlerin. Und es zeigt deutlich die Richtung, in die die christlich-liberale Regierungskoalition in Berlin auch weiterhin gehen will - allen "Sozialdemokratisierungsversuchen" der Union zum Trotz.

Herbert Kränzlein, Landtagskandidat der SPD für den Stimmkreis Fürstenfeldbruck-West/Landsberg, hält in Deutschland eine neue, intensive Wertediskussion für dringend notwendig. In Bayern sei beispielsweise die Bildungsdurchlässigkeit trotz eines insgesamt guten Niveaus viel zu gering ausgeprägt. Auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinke der Freistaat deutlich hinterher. Die von der SPD beworbene Gemeinschaftsschule müsse aus den vorgenannten Gründen endlich forciert werden.

Kränzlein, Alt-Bürgermeister der Stadt Puchheim, nannte das Projekt "Soziale Stadt" in Puchheim als ein Positivbeispiel, wie staatliche Förderung vor Ort sinnvoll eingesetzt werden kann. Er ging auch auf die immensen Probleme auf dem Wohnungsmarkt im Ballungsraum München ein und mahnte neue Initiativen für den Sozialen Wohnungsbau an.

Kein gutes Haar ließ Kränzlein am FDP-geführten Wirtschaftsministerium. Dieses habe, so Kränzlein, die Energiewende völlig an die Wand gefahren. Als Negativbeispiel führte Kränzlein die Bemühungen der Stadt Puchheim für die Nutzung der Geothermie an. Hier habe es das Wirtschaftsministerium in eklatanter Art und Weise versäumt, die Kommune bei der Suche nach potentiellen Investoren zu unterstützen. Auch auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung liege vieles im Argen.

Auch auf die teilweise katastrophale wirtschaftliche Lage bayerischer Kommunen außerhalb der Boom-Regionen München und Nürnberg ging Kränzlein ein. Hier sei der Freistaat dringend in der Pflicht, den betroffenen Städten und Gemeinden einen Weg aus der Schuldenfalle zu bereiten.

Münchens Stadtkämmerer Ernst Wolowicz - durch eine Bronchitis etwas angeschlagen, aber dennoch tapfer durchhaltend - sprach im Hinblick auf den Schutz der Menschen vor kapitalistischen Tendenzen von einer historischen Aufgabe der deutschen Sozialdemokratie. Man dürfe die Marktwirtschaft keinesfalls "sich selbst überlassen". Der Markt sei lediglich ein Instrument, um Angebot und Nachfrage zueinander zu bringen. Der Staat müsse dafür sorgen, dass die sozialen Unterschiede nicht zu groß werden. Er müsse für einen Ausgleich sorgen. Gelingt dies nicht, würde man auch in Deutschland bald Verhältnisse vorfinden wie in den USA.

Auch Herbert Kränzlein griff diesen wichtigen Punkt auf. In Artikel 20 des Grundgesetzes sei festgelegt, dass der Staat das Prinzip der Gerechtigkeit zu sichern habe. Nicht zu Unrecht habe der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering den um sich greifenden "Raubtierkapitalismus" angeprangert, in dem es hauptsächlich darum ginge, die Aktienkurse immer weiter zu steigern zu Lasten der Belegschaften in den Aktienunternehmen. Die SPD, so Kränzlein, müsse "immer der letzte Hüter der Sozialen Marktwirtschaft" bleiben.

Natürlich war an dem Abend auch die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossene und umgesetzte Arbeitsmarktreform "Agenda2010" Thema. Beide Diskutanten, Wolowicz und Kränzlein, waren der Meinung, dass die Reform grundsätzlich ein wichtiger und richtiger Schritt gewesen sei. Jedoch habe es die SPD versäumt, in den Punkten, in denen die Stellschrauben z.B. der Hartz-Gesetze in die falsche Richtung drehten oder durch viele Arbeitgeber zur Gewinnmaximierung ausgenutzt wurden, schnell nachzubessern. Dies hätten viele der SPD bis heute nicht verziehen.

Auf die Frage, ob die in Bedrängnis geratenen EU-Staaten nicht auch eine "Agenda2010"-Reform benötigen, entgegnete Kränzlein, dass dort zunächst einmal die vielerorts praktizierte "Austeritätspolitik" beendet werden müsse. Es sei äußerst zweifelhaft, ob der Plan, den Staat durch gezielte "Verarmung" der Bevölkerung wieder ins Laufen zu bekommen, aufgehe. In den krisengeschüttelten Ländern sei vielmehr eine echte Aufbauhilfe gefordert. Diese Staaten müssten aber auch selbst zu strukturellen Veränderungen bereit sein. Kränzlein betonte, dass es dabei wichtig sei, dass die Länder über ihre nationalen Parlamente eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Vordringliche Ziele müssten dabei die Instandhaltung der Staatsstrukturen und -finanzen sowie die Schuldenrückführung sein. Letztes betreffe auch Deutschland, das inzwischen über 2,2 Billionen (also 2.200 Milliarden) Euro Schulden angehäuft habe.

Eine der größten "Unwuchten" im Wirtschaftssystem Deutschlands und auch Bayerns sah Wolowicz in dem Missverhältnis der Einkommen von Managern im Vergleich zu "normalen" Arbeitskräften. Dass beispielsweise ein VW-Chef 500 Mal mehr verdiene als ein Kfz-Mechaniker im gleichen Unternehmen, sei rational nicht erklärbar.

Kränzlein kritisierte die staatliche "Leuchtturmpolitik" und insbesondere das zu noch größeren Ungerechtigkeiten und Verwerfungen führende Landesentwicklungsprogramm (LEP) in Bayern. Hierdurch würden bislang schon strukturschwächere Regionen noch weiter abgehängt.

Auch in der Steuerpolitik sahen beide enormen Verbesserungsbedarf. Die Behauptung, dass die Leistungsträger in Deutschland übermäßig belastet würden, sei eine Mär, so Wolowicz. In Deutschland würde das Kapital gerade einmal mit 20,7 Prozent durch Steuern belastet, während es im EU-Durchschnitt immerhin 25,7 Prozent seien. Deutschland, so Wolowicz, habe also allen Unkenrufen zum Trotz eine vergleichsweise niedrige Steuerquote. "Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, aber die Verteilung des Vermögens stimmt bei uns einfach nicht mehr", so Münchens Stadtkämmerer.

Auch das Thema "Hoeneß" wurde kurz angeschnitten. Für Wolowicz ist "Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen. Weil man dadurch direkt dem Staat und damit allen Bürgerinnen und Bürgern schadet". Die USA, so Wolowicz, seien wenigstens in diesem Punkt ein positives Beispiel. Wer als im Ausland lebender US-Bürger in den USA keine Steuern zahlt, der verliere i.d.R. die amerikanische Staatsbürgerschaft. Kränzlein prangerte in diesem Zusammenhang die signifikante Unterbesetzung im Bereich der Steuerfahndung im Freistaat an. Es dürfe nicht sein, dass Unternehmen und Privatpersonen die hervorragende Infrastruktur in Deutschland nutzen, aber keine Steuern bezahlen.

Zur Bankenkrise und zu den Lehren, die man daraus ziehen sollte, empfahl Dr. Herbert Kränzlein die Trennung der Banken in solche, die das klassische Bankgeschäft anbieten und in solche, die riskante Investmentgeschäfte tätigen. Zudem mahnte er neue, effektivere Formen des Verbraucherschutzes an. In Bayern und im Bund, so Kränzlein, sei von den für Verbraucherschutz zuständigen CSU-Ministerinnen leider gar nichts zu erwarten.

Insgesamt, so Kränzlein, gelte es unbedingt, die Soziale Marktwirtschaft zu verteidigen und durch die schwierigen Zeiten zu retten. "Die Länder mit Sozialer Marktwirtschaft stehen vorne, auch in der wirtschaftlichen Leistungskraft!". Die Soziale Marktwirtschaft ist für Kränzlein nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ein Garant für den Frieden.

Wolowicz sprach sich ganz klar für eine staatlich reglementierte Wirtschaft aus. Die menschliche Arbeitskraft und die Natur dürften nicht schamlos ausgebeutet werden. Wolowicz warnte ausdrücklich vor der neoliberalen Idee eines Selbstlaufs der Marktkräfte. Deutschland sei eines der reichsten Länder der Erde. Daher müsse es möglich sein, dass alle gute Lebenschancen haben. Dies sei eine Sisyphos-Arbeit. Aber man müsse sich Sisyphos eben als glücklichen Menschen vorstellen...

Die Puchheimer SPD bedankt sich bei den beiden sehr herzlich für den interessanten Abend. Ebenso bedanken wir uns bei den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern, die durch ihre Fragen und Anmerkungen die Diskussion sehr lebendig und inhaltsvoll gestaltet haben. Und Herrn Wolowicz wünschen wir natürlich von Herzen gute Besserung!