Podiumsdiskussion der SPD Puchheim - Rassismus!? Bei uns doch nicht!?

Fast 100 Gäste folgten der Einladung der Puchheimer SPD zu einer Podiumsdiskussion im Puchheimer Kulturcentrum PUC im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus.

Der Titel der Podiumsdiskussion der Puchheimer SPD war bewusst etwas provokant gewählt: Rassismus!? Bei uns doch nicht!? Als Podiumsteil- nehmer waren eingeladen Wolfgang Meyer, Kriminalhauptkommissar und Mitarbeiter in der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus, Willi Dräxler, Referent für Migration beim Caritasverband der Erzdiözese München, Marie Corain, Sozialarbeiterin (Master of Arts) in der Migrationsberatung der Caritas und Mitglied in der Initiative Schwarze in Deutschland sowie Isabell Riedling, Dipl.-Sozialpädagogin und aktiv im Verband binationaler Familien und Partnerschaften.

Schon in der Begrüßung ging SPD-Ortsvereinsvorsitzender Jean-Marie Leone auf den provokanten Titel der Veranstaltung ein. "Für viele ist das Thema Rassismus weit weg. Das ist es aber gar nicht. Verändert hat sich nur, dass man es nicht immer gleich erkennt", so Leone. "Heute sieht man nicht mehr schon auf 100 Meter, wes Geistes Kind jemand ist". Die Methoden der Rechtsradikalen seien in den letzten Jahren subtiler geworden.

Im weiteren Verlauf des vom SPD-Landtagsabgeordneten und Puchheimer Alt-Bürgermeister Dr. Herbert Kränzlein moderierten Abends sollten Leones Worte noch ihre traurige Bestätigung finden.

Doch der Reihe nach...denn zunächst hatten die Podiumsteilnehmer das Wort.

Deutsch sein und Schwarz sein - das geht für viele nicht zusammen

Isabell Riedling vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften lieferte zum Einstieg einige Beispiele von sogenanntem "Alltags-Rassismus", der vom "Sender der Botschaften" oftmals gar nicht als solcher wahrgenommen wird, bei den Empfängern jedoch Verletzungen hervorrufen könne. So kann nach Riedlings nicht unumstrittener Ansicht sogar schon die Frage "Woher kommst Du?" eine Form des Alltags-Rassismus' sein. Wenn jemand "fremd" aussieht, implizierten viele automatisch, dass er von woanders herkommen müsse, obwohl er oder sie vielleicht hier geboren und deutscher Staatsangehörige(r) ist. "Deutsch sein und Schwarz sein - das geht für viele nicht zusammen", so Riedling,

Auch in Schulbüchern fänden sich laut Riedling heute noch viele Spuren von Alltags-Rassismus. So würden Szenen, die von Menschen in Afrika handelten, immer noch sehr oft mit Buschhütten und nicht mit modernen Gebäuden illustriert. Zudem sei es in Deutschland nach wie vor nicht selten einerlei, aus welchem Land genau jemand kommt, der Kontinent Afrika würde einfach völlig undifferenziert als ein "Land" betrachtet.

Doch gebe es auch viel deutlichere Ausprägungen des Alltags-Rassismus'. So würden beispielsweise Eltern nicht selten Partner ihrer Kinder aus anderen Kulturkreisen kategorisch ablehnen.

Riedling warf außerdem die Frage in den Raum, wie man denn den Opfern von Alltags-Rassismus helfen könnte. Sie nannte beispielhaft zwei Maßnahmen: Das sogenannte "Empowerment", also jemanden in die Lage zu versetzen bzw. ihm die Kraft zu geben, sich aktiv und friedlich gegen den Alltags-Rassismus zur Wehr zu setzen und seine Würde und Selbstbestimmung zu wahren. Und "White awareness", eine Art Training, bei dem sich die Teilnehmer ihres Weißseins bewusst werden sollen und dann ihre oft unbewussten rassistischen Einstellungen durch eine Verhaltensänderung hinter sich lassen können.

Nazis raus! Aber wohin denn eigentlich?

Wolfgang Meyer erläutete zunächst die verfassungsrechtliche Definition von Extremismus. Hierbei handle es sich um Bestrebungen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung unseres Staats zerstören wollen. Der Begriff "Extremismus" könne nicht mit "Rassismus" gleichgesetzt werden.

Laut Meyer habe die Zahl der Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund in den letzten Jahren stetig zugenommen. Oft handle es sich dabei um Fälle von sogenannter "Hasskriminalität", also einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. "Jugendliche", so Meyer, "sind auf der Suche nach Erlebnissen." In Verbindung mit möglicherweise prekären Familienverhältnissen seien diese Menschen anfällig für rechtsextreme Ideologie.

"Werte verlieren bei vielen Jugendlichen immer mehr an Bedeutung", sagt Meyer. Dem könne man aber - darauf von Moderator Dr. Herbert Kränzlein angesprochen - nicht durch eine Verschärfung des aus Sicht von Meyer völlig ausreichenden Strafrechts wirksam begegnen. "Strafe ist kein Mittel, um Jugendliche von einem falschen Weg abzubringen." Hier helfe nur Information anstatt Repression. "Die Aufklärung ist wichtig! Man kann leicht rufen "Nazis raus!". Aber wohin denn eigentlich?", so Meyer. Eine berechtigte Frage.

Das ist nicht böse gemeint, aber...

Marie Corain berichtete aus ihrer Praxis als Sozialarbeiterin bei der Caritas, aber auch von persönlichen Erlebnissen, die sie in Deutschland gemacht hat. "Die Fremdenfeindlichkeit", so Corain, "ist oft eher subtil." Sie sei meistens nicht durch offene Aggression geprägt, sondern durch verharmlosende Floskeln wie "Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber...", wenn beispielsweise ein weißer Vermieter einem schwarzen Mietinteressenten die Türe vor der Nase zuschlägt. Corain sprach auch explizit die Probleme an, die es an vielen Schulen in Deutschland im Bereich Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung gebe.

Es sei sehr wichtig, dass Minderheiten in Deutschland geschützte Räume haben, in denen sie sich über ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen können. Es seien schon jetzt viele Netzwerke in Deutschland vorhanden, die sich dieser Bedürfnisse annehmen. Einige von ihnen beschäftigten sich auch ganz speziell mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an Schulen.

Wir müssen auch die Debatte über globale Gerechtigkeit endlich führen

Willi Dräxler erklärte zunächst aus seiner Sicht die Funktionsweise von Rassismus. Er entstehe dort, wo sich Privilegierte über Unterprivilegierte stellen können. Dies finge für Dräxler schon bei der Sprache und beim sozialen Status an.

Grundsätzlich gebe es drei Formen von Rassismus: Der unbewusste, der latente und der offene Rassismus.

Die Rechtsextremen machten sich früher wie leider auch heute die latente Xenophobie vieler Menschen zunutze und definierten eigentlich fest verwurzelte Menschen einfach aus der Gesellschaft hinaus. Ernüchtert konstatierte Dräxler, dass in letzter Zeit in der Öffentlichkeit u.a. bei der Wortwahl Tabus gefallen seien, auch in der Politik. Dabei müsse die Politik doch vielmehr als Vorbild dienen. Politiker müssten auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, um hilfsbedürftigen Menschen wirklich zu helfen, selbst wenn ihnen dies bei der nächsten Wahl dann zum Nachteil gereichen würde.

Dräxler beschrieb außerdem seine Beobachtung, dass es "heute mehr Leute gibt, die sich engagieren wollen, aber eben auch eine starke Gegenbewegung" wie z.B. Pegida etc.

"Wir müssen die Debatte über globale Gerechtigkeit endlich richtig führen!", warf Dräxler in den Raum und erntete dafür viel Zustimmung. Zudem sprach sich Dräxler ausdrücklich dafür aus, dass alle am Ort lebenden Menschen, also auch die Migranten, zumindest in ihrer Kommune das Wahlrecht erhalten sollten.

In der anschließenden Fragerunde beteiligten sich einige Zuhörer an der Diskussion. Zwei Bürger brachten ihre eigenen Sorgen und Ängste, die laut aktueller Umfragen in der Bevölkerung wohl weit verbreitet sind, zum Ausdruck. Unter anderem wurde der Politik ein völliges Versagen bei der Integrationspolitik vorgeworfen, was Moderator Dr. Herbert Kränzlein mit der Aussage quittierte, dass es sicherlich niemanden gibt, der das Thema Integration für "ein leichtes Unterfangen" halten würde. Die Aussagen der Bürger, in denen u.a. auch eine angebliche islamistische Unterwanderung unserer Gesellschaft am Beispiel einer Grundschule in Neu-Ulm thematisiert wurde, bezeichnete er als "Zerrbild".

Für viele ist das Thema Rassimus ganz weit weg. Das ist es aber gar nicht.

Zu kippen drohte die Veranstaltung, als ein nach eigenen Angaben nicht der rechten Szene zugehöriger junger Mann ans Mikrofon trat und sich dort u.a. für eine Beschleunigung von Asylverfahren und die schnelle Abschiebung aller abgelehnten Flüchtlinge aussprach. Unter Verweis auf eine angeblich hohe Arbeitslosenquote brüllte er ins Mikrofon "Warum sollen wir die weiter durchfüttern?". Weiterhin behauptete er, dass Mieter ihre Wohnungen für Flüchtlinge verlassen müssten.

Spätestens hier war den meisten klar, dass das kein normaler Diskutant ist. Podiumsteilnehmer Wolfgang Meyer ließ den Redner, der sich auf Nachfrage als Thomas Schatt vorstellte, dann auch sehr schnell als Mitglied der rechtsextremen Szene Münchens auffliegen. "Sie erleben hier eine typische Wortergreifungsstrategie der Rechten", so Meyer zu dem jungen Mann. Dieser dementierte zunächst, der rechtsextremen Szene anzugehören.

Auch Moderator Dr. Kränzlein schaltete sich ein und entgegnete dem jungen, offenbar unbelehrbaren Mann, dass Asylverfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablaufen, dass der Asylsuchende Einspruchsrechte im Falle der Ablehnung hat und dass man abgelehnte Asylbewerber auch nicht in jedem Fall einfach wieder in deren Herkunftsländer zurückführen kann. "Wovor genau haben Sie eigentlich Angst?", fragte Kränzlein, worauf dem rechten Wortführer jedoch spontan keine Antwort einfiel.

Die Recherche von Jean-Marie Leone via Smartphone ergab, dass Schatt als Mitglied der rechtsterroristischen Gruppe, die 2003 den Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge am Münchner Jakobsplatz geplant hatte, zwei Jahre später rechtskräftig verurteilt wurde.

Mit Schatt waren einige weitere Personen, die offensichtlich zu seinem engeren Umfeld gehören, eigens aus München nach Puchheim gereist. Bereits im November 2014 war Schatt zusammen mit dem ebenfalls verurteilten Rechtsterroristen und früheren "Kameradschaft Wiese"-Mitglied Karl-Heinz Statzberger an der massiven Störung von zwei Veranstaltungen der Initiative "Freising ist bunt" und der SPD beteiligt (zum Artikel).

Und hier schließt sich der Kreis dann wieder zu den einleitenden Worten von Leone: Für viele ist das Thema Rassismus weit weg. Das ist es aber gar nicht.

Schon alleine um den Menschen die Augen zu öffnen, wie nahe menschenverachtende Attitüden auch in Puchheim sind, hat sich die Podiumsdiskussion mehr als gelohnt.

Die Puchheimer SPD bedankt sich bei den Podiumsteilnehmern, bei Moderator Dr. Herbert Kränzlein und bei der Presse für diesen sehr aufschlussreichen und hoffentlich auch "Augen öffnenden" Abend.

Unser Appell an alle: Wachsam sein! Und kein Raum dem Rassismus!

Links zur Presse:

Artikel in der Süddeutschen Zeitung