- Sanitätsfeldwebel Christiane Ernst-Zettl im Gespräch mit Dr. Herbert Kränzlein
Zu einem Neujahrsempfang der etwas anderen Art lud der SPD-Ortsverein Puchheim in die Aula der Schule Süd.
Während andernorts schon der Wahlkampf eingeläutet oder gute Laune verbreitet wurde, beschäftigte sich der Puchheimer Empfang mit der Gewissensentscheidung einer mutigen Soldatin, die tausende Kilometer von ihrer Heimat München entfernt in Afghanistan im Einsatz war und dort ein anderes, nicht für möglich gehaltenes Gesicht der Bundeswehrführung kennen lernen musste.
Rund 70 Interessierte waren der Einladung der Puchheimer SPD zu ihrem traditionellen Neujahrsempfang in der Aula der Schule Süd gefolgt.
In seiner Begrüßungsansprache stellte der Ortsvereinsvorsitzende Jean-Marie Leone den Gast des Abends, Christiane Ernst-Zettl, vor.
Christiane Ernst-Zettl wurde 1970 in Löbau in Sachsen geboren. Nach einer schwierigen, von persönlichen Repressalien des Regimes geprägten Zeit in der DDR wurde ihre Familie 1984 ausgebürgert und in der Bundesrepublik Deutschland als Flüchtlinge aufgenommen.
Bis 1991 war sie Fachangestellte im öffentlichen Gesundheitswesen. 1991 trat sie dann in den Sanitätsdienst der Bundeswehr ein.
Sieben Jahre später, also 1998, wurde sie als Berufssoldatin übernommen. Sie war dort u.a. als Zugführer eines Hauptverbandplatzzuges im Einsatz und nahm an mehreren friedenssichernden Auslandseinsätzen in multinationalen Sanitätseinsatzverbänden in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan teil.
Seit 2002 steht sie in militärfachlicher Verwendung am Sanitätsamt der Bundeswehr in München.
Christiane Ernst-Zettl ist darüber hinaus ehrenamtliche Richterin am Landgericht München und Bezirkspersonalrätin.
Politisch engagiert sie sich seit 2005 im Arbeitskreis „Darmstädter Signal“. Dieser Arbeitskreis sieht sich laut seiner Homepage als „bis heute einziges kritisches Sprachrohr von ehemaligen und aktiven Offizieren und Unteroffizieren sowie Soldatinnen und Soldaten und zivilen Angehörigen der Bundeswehr“. Frau Ernst-Zettl kümmert sich innerhalb des Arbeitskreises vor allem um die Themen
Nach der kurzen Vorstellung stieg Puchheims Alt-Bürgermeister und Landtagskandidat Dr. Herbert Kränzlein in das Gespräch mit Christiane Ernst-Zettl ein.
Mit vielen interessanten Fragen und ebenso klaren und durchdachten Antworten konnten die beiden Gesprächspartner das Hauptthema des Abends herausarbeiten, nämlich die Frage:
Darf eine Soldatin oder ein Soldat den Befehl eines Vorgesetzten im Hinblick auf seine Rechtmäßigkeit hinterfragen, ohne deshalb persönliche Repressalien befürchten zu müssen?
Die Antwort auf diese Frage lautet unglaublicherweise "Nein"!
Die Vorgeschichte:
Christiane Ernst-Zettl war 2005 in Afghanistan Zugführerin im OP-Bereich eines Feldlazaretts. Als Angehörige des Sanitätsstabs ist sie eine sogenannte Non-Kombattantin und gehörte (und gehört) somit nicht zur kämpfenden Truppe. Sie ist nach der Genfer Konvention zur Neutralität verpflichtet und darf von ihrer Waffe nur zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung ihrer Patienten Gebrauch machen.
Eines Tages, als sie bemerkte, dass zu bestimmten Zeiten ihr Untergebener - ebenfalls ein Non-Kombattant - den Bereich, für den sie verantwortlich waren, versperrte und die Patienten abwies, fragte sie nach, warum er dies denn tue. Seine mehr als verblüffende Antwort war, dass er vom damals zuständigen Truppenbefehlshaber zum bewaffneten Schutzdienst abkommandiert worden sei. Hintergrund war, dass Georgien damals ein Kontingent Infanteristen abgezogen hatte und die dadurch entstehende Vakanz durch Deutschland auszugleichen war. Doch anstatt weitere Infanteristen nach Afghanistan zu entsenden, kam man seitens der Bundeswehrführung auf eine andere, abenteuerliche Idee: Die Umfunktionierung von Sanitätssoldaten zu kämpfenden Infanteristen.
Christiane Ernst-Zettl konnte und wollte das zunächst nicht glauben. Darum nahm sie ihren Untergebenen im wahrsten Sinne des Wortes aus der "Schußlinie" und teilte sich selbst für den Schutzdienst an der Waffe ein. Und tatsächlich bekam auch sie den Befehl, als nicht kämpfender, zur Neutralität verpflichteter Sanitätsfeldwebel Schutzdienst u.a. am Maschinengewehr zu leisten. Ohne entsprechende Ausbildung an der Waffe. Und vor allem unter Missachtung der völkerrechtlichen Vorschriften der Genfer Konvention, die sogar von Afghanistan anerkannt und ratifiziert wurden.
Im Extremfall, so Ernst-Zettl, hätte ein solcher Dienst bedeutet, dass sie als Sanitäterin schon bei einer mutmaßlich drohenden Gefahr ihre Waffe aktiv hätte einsetzen müssen.
Ihrem Gewissen folgend und wie man es eigentlich von jedem "normal" denkenden Menschen erwarten würde, fragte Ernst-Zettl bei Ihrem Vorgesetzten nach, ob der erteilte Befehl seiner Ansicht nach denn rechtmäßig sei.
Die Folge war nicht etwa, dass man auf Seiten der Führung ernsthaft mit dieser Frage umgegangen wäre und Christiane Ernst-Zettl eine kompetente Antwort erteilt hätte. Ganz im Gegenteil!
Christiane Ernst-Zettl wurde kurz darauf "repatriiert", sprich in die Heimat zurückgeschickt, wo ein Disziplinarverfahren auf sie wartete. Der Vorwurf: "Verunsicherung eines Vorgesetzten". Unglaublich, aber wahr!
Die Folge: Das zuständige Truppendienstgericht erlegte ihr eine Geldbuße in Höhe von 800 EUR auf und bescheinigte ihr einen "bedenklichen Charakter". Weil sie die "Frechheit" besaß, völlig zu Recht einen direkten Befehl ihres Vorgesetzten auf seine Rechtmäßigkeit hin zu hinterfragen. Zunächst wurde gegen sie sogar hinsichtlich Befehlsverweigerung ermittelt, was eine Wehrstraftat mit erheblichen strafrechtlichen Konsequenzen dargestellt hätte. Zumindest diesen Vorwurf ließ man dann aber aus Mangel an Beweisen (!) fallen.
Ihr Einspruch gegen die Geldbuße hatte ebenso wenig Erfolg wie ihr Gang vors Bundesverwaltungsgericht, wo man lapidar feststellte, dass der Fall von Christiane Ernst-Zettl nicht Gegenstand eines eigenen Verfahrens sein könne.
Angesichts dieser Vorgehensweise der Bundeswehr konnte man auch den Gesichtern vieler Besucher ungläubiges Staunen und Kopfschütteln vernehmen.
Auch im von Puchheims Erstem Bürgermeister moderierten Frageteil äußerten viele Besucher ihre Empörung und ihr Unverständnis über das Verhalten der Bundeswehr. "Das ist ein handfester Skandal und ich verstehe nicht, warum das nicht größere Wellen geschlagen hat", so Dr. Kränzlein. Ein anderer Besucher forderte die Politik und auch die Puchheimer SPD auf, das Thema keinesfalls auf sich beruhen zu lassen. Kränzlein versprach daraufhin, den Fall mit Susanne Kastner, die Mitglied im Verteidigungs-ausschuss des Deutschen Bundestags ist und die in Kürze in den Landkreis kommt, zu besprechen.
Das Deutsche Rote Kreuz distanzierte sich übrigens in der Folge von dem Vorgehen der Bundeswehr. Selbst innerhalb der internationalen Sanitätsverbände stand Deutschland mit diesem Procedere völlig isoliert da, so Christiane Ernst-Zettl.
Inzwischen haben 112 Ärzte aus dem Sanitätsdienst der Bundeswehr vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgreich ihr Recht auf die Verweigerung des Kriegsdienstes eingeklagt. Ein Urteil, das für die Bundeswehr und den Sanitätsdienst der Bundeswehr gravierende Folgen haben kann, wenn man seitens der Bundeswehrführung nicht endlich zur Vernunft kommt.
Denn es sei, so Christiane Ernst-Zettl, weiterhin gängige Praxis, Mitglieder von Sanitätseinheiten für Infanterieeinsätze abzukommandieren. Eine Frage von ihr blieb sicher allen Anwesenden im Gedächtnis und zeigt die Tragweite dieses Problems: "Was würden Sie den Eltern erzählen, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter als Sanitäter oder Arzt nach Afghanistan geht und dann bei einem Infanterieeinsatz vom Feind erschossen wird?" Eine Frage, auf die die Bundeswehr bis heute keine Antwort geben konnte oder wollte. Auch das Verteidigungsministerium unter Dr. Jung verweigerte eine Stellungnahme. Nachfolger zu Guttenberg beteuerte, dass diese Praxis nicht im Sinne der Bundeswehr sei und sofort beendet würde. Getan hat sich bislang offenbar nichts. Auch der Generalinspekteur sah sich nicht zum Handeln bemüßigt. Muss es wirklich erst dazu kommen, dass irgendjemand das betroffenen Eltern erklären muss? Die Folgen für das Image der Bundeswehr wären geradezu verheerend. Aber das nimmt man offensichtlich in Kauf.
Der oben geschilderte Konflikt war nicht der einzige Kritikpunkt. Auf die Frage, ob die Soldaten in Afghanistan denn von der Bundeswehr ausreichend in die kulturellen und ethnischen Besonderheiten in Afghanistan eingewiesen wurden, entgegnete Ernst-Zettl, dass man sich auf einen Urlaub intensiver vorbereite als die Bundeswehr ihre Soldaten auf einen Auslandseinsatz in einem so schwierigen und zerrissenen Krisengebiet. Auch das ist ein Armutszeugnis für die Bundeswehr und ihre Führung.
Wir bedanken uns bei Christiane Ernst-Zettl für Ihren Besuch in Puchheim und für ihre offenen Worte, die sicherlich viele Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken angeregt haben. Und wir danken Dr. Herbert Kränzlein und Norbert Seidl für die Moderation des Abends sowie den vielen Helferinnen und Helfern, die für ein tolles Ambiente und etliche kulinarische Leckerbissen gesorgt haben!